Von Brauchtum und Sitte

Diese Eigenschaften wurden seit alters an unseren Vorfahren gerühmt: Ihr kirchlicher Sinn, ihre zähe Art, wie sie an hergebrachten Sitten und Gebräuchen hingen, und ihr bäuerlicher Arbeitsfleiß. Der Niederbayer will gerne fest arbeiten, aber auch lebensfrohe Feste feiern. Getreu dem Brauch der Ahnen begeht er viele Tage des Jahres in einer besonderen Weise und erfüllt sie durch sein Handeln mit einem tiefen Sinn. An den Wendepunkten des Jahreslaufes hielt er mit der Arbeit inne und besann sich des Wirkens der oberen Mächte. Auch den Göttern, die nach dem Glauben unserer Urahnen über den Geschicken der Menschen und aller Geschöpfe walten, erwies er tiefe Verehrung. So erfüllte sich im Laufe einer langen Entwicklung das ganze Jahr mit einer Kette von Verrichtungen, und die Feste des Jahreslaufes waren die Perlen dieser Kette. Aber auch die wesentlichen Stadien im Lebenslauf jedes Menschen beging man auf eine sinnreiche Weise: Geburt, Hochzeit, Tod. Dieses Brauchtum ist entstanden in der Zeit, da unsere bäuerlichen Vorfahren mit der Natur sehr eng verbunden waren. Unsere Ahnen fühlten sich selbst als Glieder dieses natürlichen Reigens der Geschöpfe. Uns haben die Technik und andere Entwicklungen von solcher Verbundenheit mit den Dingen der Natur weit entfernt. So ist seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein großer Teil des alten Volksbrauchtums zugrunde gegangen. Viele von den schönen und sinnreichen Bräuchen unserer Vorfahren sind über dieser neuen Entwicklung in Vergessenheit geraten. Doch in den verkehrsentlegenen Tälern des niederbayerischen Hügellandes und des Waldes hat sich mehr vom alten Brauchtum erhalten als anderswo.

Alter und Wandlungen der Brauchtums
Wie schon erwähnt, rührt der Ursprung vieler Bräuche weit zurück. Manchen Brauch, der bis heute lebendig geblieben ist, haben schon die Menschen der jüngeren Steinzeit geübt, so die Feiern zur Sonnenwende. Nicht wenige kirchliche Feste finden ihre tiefsten Wurzeln in dem Brauchtum der Menschen, die schon lange vor der Verkündigung der Frohbotschaft Christi in unserer Heimat gelebt haben. Die Missionare ließen die alten Sitten oft weiterbestehen, nachdem sie ihnen einen christlichen Sinn gegeben hatten. Damit war beiden Teilen geholfen: Das Volk brauchte von seinen alten Gebräuchen nicht abzulassen, und die Missionare hatten ihm dennoch die Segnung des Christentums vermittelt. Andere Bräuche sind jüngeren Ursprungs. Vielfach haben sich die Formen, wie man die Bräuche ausübte, mit der Zeit verändert und auch landschaftliche Verschiedenheiten haben sich im Lauf der Zeit herausgebildet. Den wichtigsten Heiligen widmete man jeweils einen eigenen Tag, um sie gehörig zu feiern. So wurde der Kalender allmählich gespickt mit Bauernfeiertagen. Als zu Beginn des vorigen Jahrhunderts alles neu geregelt wurde, hat man von Staats wegen auch viele dieser alten Bauernfeiertage abgeschafft. Weil aber die niederbayerischen Bauern zäh am Alten hängen, so legt man mancherorts am Namenstag eines ehedem stark gefeierten Heiligen noch heute einen Ruhetag ein. Besonders im Winter gab es früher viele Bauernfeiertage, denn während der kalten Jahreszeit hatte man mehr Zeit zum Feiern als den Sommer über. Das Brauchtum des Winterhalbjahres war ungleich reicher entfaltet als jenes des Sommerhalbjahres.